Moderierter Stadtrundgang mit Dr. Walter Karbach zur Geschichte jüdischen Lebens in Oberwesel am 5.5.2024
»Genau hier wohnten eine jüdische Familie und eine Nazi-Familie direkt gegenüber. Die Nachbarn kannten sich viele Jahre, als der eine Nachbar 1935 die Beschlüsse gegen die Juden im Stadtrat mitbeschloss.« Es ist still, als Dr. Walter Karbach in der Pliersgasse über die Geschichte der jüdische Familie Marx spricht. Rund 65 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren gekommen, um sich gemeinsam die Orte jüdischen Lebens in Oberwesel anzuschauen. In etwa zwei Stunden ging die Gruppe zu einigen dieser Orte und hörte gebannt, welche Geschichte sich zu jedem Haus verbirgt.
Der gebürtige Oberweseler Karbach schöpft aus einem vollen Vorrat. Er und Doris Spormann haben in jahrzehntelanger Recherchearbeit alles zusammengetragen, was sie über die Oberweseler Juden finden konnten. Sie stehen auch heute noch im Kontakt zu Nachfahren in den USA, Argentinien und Kanada. Ihre Sammlung ist jüngst als 600 Seiten starkes Buch erschienen. »Wir müssen die Erinnerungen sammeln und bewahren, damit sie nicht verloren gehen. Das ist unsere dunkle Geschichte und der müssen wir uns immer wieder stellen«, so Karbach.
Eingeladen hatte das Team Oberwesel, ein Zusammenschluss aus Grünen und SPD Oberwesel. Über die große Resonanz sind die Organisator:innen überrascht und sehr erfreut: »Wir hatten mit 20 Leuten gerechnet und sind regelrecht überwältigt. Wir wollen, dass die wertvolle Arbeit von Karbach und Spormann möglichst viel Aufmerksamkeit erhält, gerade in unruhigen Zeiten wie diesen. Das ist unsere Verantwortung, daran misst uns die Welt.« fasst Christian Büning für das Team Oberwesel zusammen. Der Rundgang, an dem auch Pastor Joachim Fey und Ratsherr Hubertus Jäckel sowie der Ortsvorsteher von Bad Salzig, Andreas Nick teilnahmen, endete auf dem Heumarkt, wo 1942 die letzten Oberweseler Juden im Haus von Adolf Seligmann zusammengetrieben wurden, bevor sie deportiert wurden.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dankten Walter Karbach für seine engagierte Führung mit langem Applaus. Anschließend gab es zur Stärkung und für den Austausch Kaffee und Kuchen im nahe gelegenen Krönchen. Karbach kommentierte: »Ich wurde heute oft gefragt, diesen Rundgang zu wiederholen. Das mache ich sehr gerne, am liebsten für noch mehr junge Leute«. Ein herzlicher Dank geht an die Firma Silbernagel & Sohn GmbH, die kostenlos eine mobile Mikrofonanlage zur Verfügung stellte.
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Fotos: Werner Brager, Günther Kaspari, Franziskus Weinert